Betreff
Mitwirkung des Jugendamtes in Verfahren vor dem Jugendgericht - Neuregelungen durch das Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten in Jugendstrafverfahren vom 19.12.2019
Vorlage
JHA/0083/2020
Aktenzeichen
416.334
Art
Sitzungsvorlage JHA

Beschlussantrag:

  1. Der Jugendhilfeausschuss nimmt die neuen Anforderungen an die Mitwirkung der Verwaltung in Jugendstrafverfahren zur Kenntnis.
  2. Die Verwaltung wird beauftragt, mit den maßgeblichen Kooperationspartnern die notwendigen Absprachen zur Umsetzung des Gesetzes zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten in Jugendstrafverfahren zu treffen.

 

1. Sachverhalt:

Die Mitwirkung des Jugendamts im Jugendstrafverfahren ist in § 52 SGB VIII i. V. m. mit § 38 JGG geregelt. Danach hat die Verwaltung folgende Aufgaben:

·         Die Jugendgerichtshilfe ist zuständig für alle straffällig gewordenen jungen Menschen, die zum Zeitpunkt der Straftat mindestens 14 und noch nicht 21 Jahre alt sind.

·         Im gesamten Verfahren gegen einen jungen Menschen wird die Jugendgerichtshilfe herangezogen, sie muss eine sozialpädagogische Stellungnahme zur Perspektivenklärung abgeben.

·         Die Jugendgerichtshilfe bringt dabei die erzieherischen, sozialen und jugendhilferelevanten Gesichtspunkte im Verfahren vor den Jugendgerichten zur Geltung und äußert sich zu den Maßnahmen, die zu ergreifen sind.

·         Bei Heranwachsenden (18 bis 21-Jährigen) ist eine fachliche Stellungnahme darüber abzugeben, ob Jugendstrafrecht oder das Allgemeine Strafrecht (Erwachsenenstrafrecht) angewandt werden soll.

·         Sie wacht darüber, dass der Jugendliche bzw. Heranwachsende Weisungen und Auflagen nachkommt. Erhebliche Zuwiderhandlungen muss sie der Staatsanwaltschaft oder dem Jugendrichter mitteilen.

·         Während des Vollzugs einer Strafe in einer Justizvollzugsanstalt bleibt die Jugendgerichtshilfe mit dem jungen Menschen in Verbindung und nimmt sich seiner Wiedereingliederung in die Gemeinschaft an. Dies beinhaltet dann auch die Kooperation mit der Bewährungshilfe bei den Landgerichten.

 

Die bisherige Vorgehensweise der Jugendgerichtshilfe

Nach der Begehung einer Straftat ging eine Meldung der Polizei an die Staatsanwaltschaft und das Jugendamt. Nach § 38 JGG soll die Jugendgerichtshilfe frühestmöglich einbezogen werden. Bei einem Haftbefehl erfolgte die Einbeziehung des Jugendamtes unverzüglich. Die Staatsanwaltschaft überprüfte ohne eine Einbeziehung der Jugendgerichtshilfe, ob es zu einer Einstellung des Verfahrens kommt, ein sogenanntes Diversionsverfahren eingeleitet wird oder eine Anklage ergeht. In der Regel ist die Jugendgerichtshilfe erst im Anschluss tätig geworden.

 

Bei einem Diversionsverfahren werden die Jugendlichen mit ihren Eltern oder die Heranwachsenden zu einem erzieherischen Gespräch in das Jugendamt eingeladen. Hier erfolgt eine Ermahnung und die Aufforderung zur Ableistung von zuvor durch die Staatsanwaltschaft festgelegten Auflagen, z. B. Sozialstunden. Das Jugendamt vermittelt und überwacht die Auflagen. Die Staatsanwaltschaft wird über den Ausgang des Diversionsverfahrens unterrichtet.

Bei einer Anklage werden die Jugendlichen mit ihren Eltern oder die Heranwachsenden ebenfalls zu einem Gespräch in das Jugendamt eingeladen. Ziel des Gesprächs ist die Erstellung eines schriftlichen Berichts für die Staatsanwaltschaft und das Gericht. Die Jugendgerichtshilfe nimmt an der Hauptverhandlung teil und berichtet mündlich. Sie macht einen Ahndungsvorschlag unter Berücksichtigung der erzieherischen Gesichtspunkte. Bei Heranwachsenden wird im Rahmen des Berichts auch zur Anwendung von Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht Stellung genommen.

Dem jungen Menschen werden in der Regel auch hier vom Gericht Weisungen oder Auflagen erteilt. Wie bei der Diversion werden die Auflagen und Weisungen durch das Jugendamt vermittelt und überwacht. Bei schwerwiegenderen Straftaten und einer schlechteren Sozialprognose sieht das Gesetz den Jugendarrest oder die Jugendstrafe vor, die von der Justiz durchgesetzt werden.

 

Die neuen Anforderungen durch das Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Jugendstrafverfahren vom 09.12.2019 (Anlage)

Die frühestmögliche Beteiligung der Jugendgerichtshilfe bedeutet jetzt, dass die Jugendgerichtshilfe noch vor Anklageerhebung durch die Polizei eingeschaltet wird. Es besteht eine Informationspflicht durch die Ermittlungsbehörden vor der ersten Vernehmung des jungen Menschen. Die Berichterstattung der Jugendgerichtshilfe an die Staatsanwaltschaft erfolgt vor Anklageerhebung damit diese über eine Anklageerhebung entscheiden kann.

Dies hat zur Folge, dass die Jugendgerichtshilfe in deutlich mehr Fällen und frühzeitiger beteiligt wird. Bisher erhielt die Jugendgerichtshilfe in der Regel erst mit der Anklageerhebung Informationen von der Staatsanwaltschaft. Diese Informationen beschränkten sich lediglich auf die Anklageschrift.

Der Informationsaustausch zwischen Jugendgerichtshilfe, Polizei und Staatsanwalt-schaft intensiviert sich in einem hohen Maße.

Bis zum Beginn der Hauptverhandlung sind weitere Nachforschungen der Jugendgerichtshilfe notwendig und eine ergänzende Berichterstattung ist verpflichtend. Dies hat zur Folge, dass nunmehr mehrere Gespräche mit dem jungen Menschen und sonstigen Beteiligten geführt werden müssen.

Darüber hinaus besteht nun eine grundsätzliche Pflicht zur Teilnahme an der Hauptverhandlung durch die Jugendgerichtshilfe. Es besteht zwar die Möglichkeit der schriftlichen Beantragung eines Verzichts auf die Teilnahme, dies soll jedoch möglichst vermieden werden. Bei nicht genehmigter Abwesenheit der Jugendgerichtshilfe in der Hauptverhandlung kann eine Kostenauferlegung erfolgen. Auch sind verfahrensrechtliche Konsequenzen möglich.

 

Fazit

Bisher wurde die Rolle des Jugendamtes im Strafverfahren als eine Unterstützung für den Beschuldigten und das Gericht gesehen.

 

In bestimmten Konstellationen ist sie nun in gewisser Weise „Ausfallbürge“ für die Erziehungsberechtigten.

Durch die neue Gesetzeslage wird vieles, was bisher fachlicher Standard war und flexibel gehandhabt wurde, verbindlich geregelt.

Es gibt einzelne Neuerungen, deren Auswirkungen auf die Praxis bei den einzelnen Beteiligten nicht abschließend beurteilt werden können. Insoweit wissen weder Jugendämter, die Polizei noch die Staatsanwaltschaft, wie die Änderungen sich auswirken werden. So ist auch davon auszugehen, dass in Strafverfahren gegen junge Menschen vermehrt Rechtsanwälte beteiligt werden.

 

Die Verwaltung möchte in eine engere Kooperation mit den für den Main-Tauber-Kreis zuständigen Staatsanwaltschaften in Mosbach und Ellwangen, den Amts- und Landgerichten sowie der Polizei eintreten, um die praktische Umsetzung der erweiterten Jugendgerichtshilfeaufgaben abzustimmen.

3. Finanzielle Auswirkungen

Das Landesjugendamt beim Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg sowie der Landkreistag Baden-Württemberg gehen derzeit davon aus, dass die Reform deutliche Auswirkungen auf die personelle Ausstattung der Jugendämter haben wird.

Eine konkrete Aussage zum Personalmehrbedarf für die Jugendgerichtshilfe beim Jugendamt Main-Tauber-Kreis ist jedoch zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht verlässlich möglich.

 

 

Verfasser/-in: Herr Frankenstein

Bereich/Amt: Jugendamt

Dezernatsleitung: Frau Krug

 

 

Anlagen: 2