Betreff
Schlussfolgerungen aus dem Modellprojekt "Erarbeitung und Erprobung einer strukturierten Vorgehensweise sowie eines Instruments zur Bedarfserhebung bei Kindergartenkindern mit besonderen emotionalen und sozialen Bedürfnissen"
Vorlage
JHA/113/2022
Aktenzeichen
416.334
Art
Sitzungsvorlage JHA

Beschlussantrag:

 

1.    Der Jugendhilfeausschuss nimmt die Schlussfolgerungen aus dem Modellprojekt "Erarbeitung und Erprobung einer strukturierten Vorgehensweise sowie eines Instruments zur Bedarfserhebung bei Kindergartenkindern mit besonderen emotionalen und sozialen Bedürfnissen" zur Kenntnis.

 

2.    Der Jugendhilfeausschuss beauftragt die Verwaltung mit der Weiterleitung der Hinweise zu den Integrationshilfen in Kindertageseinrichtungen an das in der Landkreisverwaltung zuständige Amt für soziale Sicherung, Teilhabe und Integration.

 

3.    Der Jugendhilfeausschuss beauftragt die Verwaltung, einen Vorschlag zur Schaffung einer pädagogischen Fachberatung im Main-Tauber-Kreis zu erarbeiten.

Dieser soll enthalten:

-       eine Aufgabenbeschreibung für die pädagogische Fachberatung im Main-Tauber-Kreis,

-       die Benennung des Stellenumfangs für eine pädagogische Fachberatung sowie

-       einen Vorschlag zur Anstellungsträgerschaft.

 

1. Sachverhalt

(Siehe Kreistagsdrucksachen JHA/085/2020, Sitzung des Jugendhilfeausschusses am 10.03.2020 und Kreistagsdrucksache JHA/0102/2021, Sitzung des Jugendhilfeausschusses am 29.06.2021.)

 

Nachdem die Problemanzeigen aus Kindertageseinrichtungen gegenüber den kirchlichen und kommunalen Trägern sowie dem Jugendamt in den Vorjahren stetig zunahmen, erhielt die Verwaltung in der Jugendhilfeausschusssitzung am 07.05.2019 den Auftrag, die Erfordernisse für „Kinder mit besonderen sozialen und emotionalen Bedürfnissen“ systematisch aufzuarbeiten.

 

In der Folge gelang es, den Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg (KVJS) für dieses Vorhaben zu gewinnen und zur Umsetzung dieses Auftrags eine Förderung aus Mitteln zur Unterstützung von landesweit besonders wichtigen Modellprojekten zu erhalten. Der Förderbescheid erging am 10.07.2019. Der KVJS sagte eine Förderung in Höhe von 24.000 Euro bei Aufwendungen in Höhe von 40.000 Euro für das Gesamtprojekt zu. Hilfreich, um den Zuschlag für diese Unterstützung zu erhalten, war dabei besonders die Zusage der Evangelischen Hochschule Nürnberg, das Modellprojekt des Main-Tauber-Kreises wissenschaftlich zu begleiten.

 

In der Sitzung des Jugendhilfeausschusses am 10.03.2020 berichtete die Verwaltung über den Zwischenstand des Projekts und die vorgesehenen Interviews in ausgewählten Kindertageseinrichtungen. Diese erfolgten in Abstimmung mit der wissenschaftlichen Begleitung und dienten vor allem dazu, den zu erstellenden Fragebogen für die anschließende Hauptuntersuchung thematisch einzugrenzen.

 

Im Herbst 2020 fand dann die für den Landkreis repräsentative Befragung von insgesamt 43 Kindertageseinrichtungen in Lauda-Königshofen, Tauberbischofsheim und Wertheim statt, die mit einer 100-prozentigen Rücklaufquote abgeschlossen werden konnte. Grundlage war der zuvor gemeinsam mit der Evangelischen Fachhochschule schlussabgestimmte Fragebogen, der den Leitungskräften vor Ort übergeben und erläutert wurde.

 

Die Verwaltung informierte den Jugendhilfeausschuss in der Sitzung am 29.06.2021 über die Ergebnisse. Im Detail wurden diese von Frau Prof. Dr. Sommer-Himmel und Herrn Prof. Dr. Titze vorgestellt.

 

Folgende Hauptergebnisse der Befragung haben sich als besonders relevant herausgestellt:

·         Eine größere Wahrscheinlichkeit, dass Kinder besonders große emotionale und soziale Bedürfnisse entwickeln und daher Verhaltensauffälligkeiten zeigen, besteht bei sprachlichen Defiziten und Auffälligkeiten sowie bei einer Häufung von sozialen Problemlagen in der Familie. Betrachtet man die Geschlechterverteilung, dann zeigten die Befragungsergebnisse vor allem bei Jungen größere Auffälligkeiten.

·         20 bis 25 Prozent der Kinder in den befragten Kindertageseinrichtungen wiesen aus Sicht der Fachkräfte sehr große Probleme bzw. deutliche Auffälligkeiten in mindestens einem der untersuchten Entwicklungsbereiche auf. Dieser Wert entspricht den allgemein anerkannten Befragungsergebnissen und liegt im bundesweiten Vergleich innerhalb der Norm.

·         Sprachliche und kognitive Probleme dominieren die Befragungsergebnisse, gefolgt von emotionalen Problemen, Hyperaktivität und oppositionell-aggressivem Verhalten.

·         Die Mehrebenenanalyse der Befragungsergebnisse zeigte eine Verringerung der Problemlagen der Kinder bei:

o   angemessener Eingewöhnungszeit in den Betreuungsalltag einer Einrichtung

o   freiem Zugang der Kinder zu Bewegungsräumen

o   größerer Berufserfahrung der Fachkräfte und

o   begrenzter Betreuungszeit (eher Nutzung der verlängerten Öffnungszeit statt der Ganztagsbetreuung)

·         Unterstützung erwarten die Fachkräfte vor Ort vor allem durch:

o   externe Angebote für Kinder und Familien

o   interne Spezialkräfte und zusätzliches Personal

o   pädagogische Unterstützung und umfangreichere Einzelintegration

 

Die Verwaltung erhielt den Auftrag, im Abgleich der vorhandenen Unterstützungsangebote für Kinder und ihre Familien mit den über das Modellprojekt herausgearbeiteten, ggf. notwendigen ergänzenden Bedarfen praxisgerechte Lösungsansätze dem Jugendhilfeausschuss darzulegen.

 

Hierzu fand am 27.08.2021 ein finaler Ergebnisreport der Evangelischen Hochschule mit Detailinformationen für das Jugendamt statt. Am 07.10.2021 stellte das Jugendamt die Ergebnisse gemeinsam mit der wissenschaftlichen Begleitung bei der Abschlussveranstaltung des KVJS in Stuttgart vor und erhielt dort zusätzliche Anregungen.

Dem schlossen sich mehrere Sitzungen der Expertengruppe Kindertagesbetreuung und der zentralen Planungsgruppe der Jugendhilfeplanung an.

 

Die Schlussfolgerungen aus dem Modellprojekt sind zusammenfassend:

 

1.    Einleitung eines Qualitätsentwicklungsprozesses hinsichtlich der Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern unter Beteiligung der Fachschulen für Sozialpädagogik

Lösungsansätze:

Die befragten Erzieherinnen und Erzieher in den Modellkommunen sehen sich selbst nicht vollständig befähigt, die aktuellen kindlichen Problemlagen zu bearbeiten. Ihre Ausbildung berücksichtigt noch nicht ausreichend das Thema Inklusion und den Umgang mit Kindern mit besonderen Bedürfnissen oder Verhaltensauffälligkeiten. Fortbildungsbedarf besteht sowohl zu Berufsbeginn als auch nach langer Berufserfahrung der Fachkräfte.

 

Somit sollte die Qualität der Ausbildung an die Herausforderungen, die sich für die zukünftigen Fachkräfte durch zahlreiche gesellschaftliche und familiäre Entwicklungen ergeben haben, angepasst werden. Im Main-Tauber-Kreis sollte das Gespräch mit beiden Fachschulen für Sozialpädagogik gesucht werden.

 

Denkbar ist darüber hinaus ein Qualitätszirkel unter Beteiligung der Fachschulen und kirchlichen Fachberater, um Entwicklungsziele für die Aus- aber auch die Fortbildung festzuhalten und weiterzuleiten.

 

2.    Weiterentwicklung der Sprachförderung, insbesondere alltagsintegrierter Sprachförderung

Lösungsansätze:

Das Modellprojekt hat gezeigt, dass viele Probleme und Auffälligkeiten der Kinder ihre Ursache nicht nur im sozial-emotionalen, sondern insbesondere im sprachlichen Bereich haben (25 bis 30 Prozent). Insbesondere eine übermäßige Medienpräsenz verhindert den Spracherwerb und den Umgang mit Sprache. Die Etablierung und Umsetzung wirksamer Sprachförderung muss, wie im aktuellen Orientierungsplan für die Kindertageseinrichtungen in Baden-Württemberg gefordert, ein fester Bestandteil des Betreuungsangebots sein.

 

Der Erfolg herkömmlicher Sprachförderprogramme wird jedoch in Frage gestellt. Notwendig erscheint vielmehr eine in den Alltag integrierte Sprachförderung und die Einbeziehung und Aufklärung der Eltern über ihre Rolle als Sprachvorbilder.

 

3.    Neukonzeptionierung der Integrationshilfen für Kinder mit stärkerer Anpassung an die individuellen Bedarfe der Kita-Praxis

Lösungsansätze:

Die befragten Fachkräfte der Kindertageseinrichtungen stellen die Wirksamkeit der in der derzeitigen Form vom Main-Tauber-Kreis gewährten Integrationshilfen in Frage. Sie halten die Rahmenbedingungen mehrheitlich für nicht ausreichend. Es finde keine individuelle Anpassung der Begleitung nach Maßgabe des tatsächlichen Bedarfs statt. Angezeigt erscheint hier die Weitergabe dieses Befragungsergebnisses an das im Landratsamt zuständige Amt für soziale Sicherung, Teilhabe und Integration.

 

Ziel soll ein inklusiv gelebter Alltag in der Kita sein, der darauf abzielt, neben Einzelförderungen offene Angebote vorzuhalten. Zielführend seien Kooperationen, wie es sie z.B. im schulischen Bereich bereits gibt. So arbeitet das Schulzentrum Grünsfeld mit der „Andreas-Fröhlich-Schule“ in Krautheim, SBBZ für körperliche und motorische Entwicklung, zusammen.

 

4.    Aufbau einer pädagogischen Fachberatung:

Lösungsansätze:

Eine letzte wichtige Rückmeldung der Fachkräfte im Rahmen ihrer Befragung war der nachhaltige Wunsch nach mehr und besserer, insbesondere heilpädagogischer Beratung, Coaching in schwierigen Betreuungsfällen und Supervision. Die kirchliche Fachberatung wurde als nicht ausreichend beschrieben und steht darüber hinaus den kommunalen Kindertageseinrichtungen, die in zehn von 18 Kommunen vorgehalten werden, nicht zur Verfügung.

 

Gefragt ist eine kontinuierlich zur Verfügung stehende pädagogische Fachberatung, die im Einzelfall unterstützen und in Konfliktsituationen beraten kann und über diese Erkenntnisse auch einzelfallunabhängig Vernetzungsarbeit leisten und so zur Entlastung der Fachkräfte vor Ort beitragen kann.

 

3. Finanzielle Auswirkungen

Die Schaffung einer pädagogischen Fachberatung hätte bei einer Vollzeitanstellung (1,0 Fachkraftstelle) Arbeitgebergesamtaufwendungen in Höhe von ca. 65.000 Euro für den Anstellungsträger zur Folge. Im Falle der Anstellungsträgerschaft des Landkreises müssen Stelle und Personalkosten entsprechend im Haushalt, beispielsweise im Haushalt 2023, etatisiert werden.  Die Entscheidung darüber trifft der Kreistag.

 

 

Verfasser/-in: Martin Frankenstein

Bereich/Amt: Dezernat für Jugend, Soziales und Gesundheit / Jugendamt

Dezernatsleitung: Elisabeth Krug