Betreff
Entwicklungen in der stationären Pflege und ihre Auswirkungen auf die Hilfe zur Pflege in Einrichtungen nach dem SGB XII
Vorlage
S/455/2022
Aktenzeichen
428.53
Art
Sitzungsvorlage S

Beschlussantrag:

 

Die Entwicklungen in der stationären Pflege und ihre Auswirkungen auf die Hilfe zur Pflege in Einrichtungen nach dem SGB XII werden zur Kenntnis genommen.

 

1. Sachverhalt

a.    Demografische Entwicklung

Die Menschen sind heute einerseits länger gesund und mobil. Andererseits nimmt das Risiko, pflegebedürftig zu werden, mit zunehmendem Alter, insbesondere ab 75 Jahren zunächst langsam, dann deutlich zu.

 

Nach der Bevölkerungsvorausrechnung des Statistischen Landesamtes sinkt die Zahl der unter 65-Jährigen im Main-Tauber-Kreis, die Anzahl der über 65-Jährigen wird dagegen steigen. Besonders gravierend ist hier der Anstieg der Zahl der Hochbetagten, das sind die 85-Jährigen und älter, also der Bevölkerungsgruppe mit einem deutlich erhöhten Pflegerisiko. Hier ist mit einem Anstieg von nahezu 40 % gegenüber dem Jahr 2017 zu rechnen.

 

Entsprechend ist der Main-Tauber-Kreis bereits heute einer der Landkreise mit dem höchsten Anteil Hochaltriger. Diese Entwicklung wird sich weiter fortsetzen. Diese demografische Entwicklung wirkt sich deutlich auf die Hilfe zur Pflege in Einrichtungen aus.

 

b.    Auswirkungen auf die Pflege

Die Zahl der Pflegebedürftigen im Main-Tauber-Kreis steigt. Noch immer wird die Mehrheit der Pflegebedürftigen, d.h. ca. 80%, ambulant – oft von Angehörigen allein oder mit professioneller Unterstützung durch ambulante Dienste sowie Einrichtungen der Tages- und Kurzzeitpflege – versorgt. Allerdings nimmt das private Pflegepotenzial ab, da immer mehr Kinder nicht in der Nähe der Eltern leben und/oder nicht in der Lage oder bereit sind, die Eltern zu pflegen. Der Bedarf an professioneller Hilfe steigt – zunächst im ambulanten Bereich, bei zunehmender Pflegebedürftigkeit ist oft ein Pflegeheimaufenthalt kaum vermeidbar.

 

c.     Kosten der stationären Pflege

Die Kosten eine Pflegeheimaufenthaltes setzen sich aus den Kosten für Unterkunft und Verpflegung, den Pflegekosten in Abhängigkeit vom Pflegegrad, den Investitionskosten sowie den Ausbildungspauschalen zur Finanzierung der Auszubildenden zusammen. Monatlich können so - je nach Pflegeheim - Kosten von über 5.400 Euro entstehen.

 

d.   Leistungen der Pflegeversicherung

An den Kosten einer stationären Pflege im Pflegeheim beteiligen sich die Pflegekassen aktuell mit

-           770 Euro für Pflegebedürftige mit Pflegegrad 2,

-        1.262 Euro für Pflegebedürftige mit Pflegegrad 3,

-        1.775 Euro für Pflegebedürftige mit Pflegegrad 4,

-        2.005 Euro für Pflegebedürftige mit Pflegegrad 5.

 

Pflegebedürftige mit Pflegegrad 1 haben nur Anspruch auf sog. Entlastungsleistungen von 125 Euro monatlich; Kosten eines Pflegeheimes werden für sie nicht übernommen.

 

Zusätzlich beteiligen sich die Pflegekassen seit 01.01.2022 mit einem „Leistungszuschlag“ an den Kosten des Pflegeheimaufenthaltes. Der Leistungszuschlag ist gestaffelt und beträgt:

 

-        5 % des Eigenanteils an den Pflegekosten incl. Ausbildungspauschalen, wenn der Leistungsberechtigte bis zu 12 Monate,

-        25 % des Eigenanteils an den Pflegekosten incl. Ausbildungspauschalen, wenn der Leistungsberechtigte mehr als 12 Monate,

-        45 % des Eigenanteils an den Pflegekosten incl. Ausbildungspauschalen, wenn der Leistungsberechtigte mehr als 24 Monate und

-        70 % des Eigenanteils an den Pflegekosten incl. Ausbildungspauschalen, wenn der Leistungsberechtigte mehr als 36 Monate

 

in einem Pflegeheim lebt.

 

Unberücksichtigt bleiben hier die Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie die Investitionskosten. Diese Kosten hat der Heimbewohner weiter vollständig selbst zu tragen.

 

e.    Hilfe zur Pflege (Sozialhilfe)

Anspruch auf Hilfe zur Pflege hat, wer heimbetreuungsbedürftig ist, und dessen Einkommen und nicht geschütztes Vermögen nicht ausreicht, um die Heimkosten zu decken.

 

Bereits seit 2010 steigen die Ausgaben für die Hilfe zur Pflege in Einrichtungen an. Während in den ersten Jahren Preissteigerungen der Pflegeheime auf Personal- und Sachkostensteigerungen basierten, kommt seit 2018 zusätzlich eine steigende Anzahl von Leistungsberechtigten hinzu.

 

Weitere Gründe für den steigenden Sozialhilfeaufwand in diesem Bereich sind:

 

-        die Erhöhung des Vermögensschonbetrages zum 01.04.2017 auf 5.000 Euro pro Person (also 10.000 Euro für Ehepaare), d.h. Vermögen, das der Leistungsberechtigte nicht für die Heimkosten einsetzen muss sowie

-        das Angehörigenentlastungsgesetz, das zum 01.01.2020 in Kraft trat und zur Folge hat, dass Kinder nur noch dann zum Unterhalt für ihre sozialhilfebedürftigen Eltern herangezogen werden können, wenn sie über ein Bruttoeinkommen von mehr als 100.000 Euro verfügen.

 

Die Auswirkungen dieser Entwicklungen zeigen sich deutlich in den Sozialhilfeausgaben: So betrugen die Ausgaben in der Hilfe zur Pflege in Einrichtungen für das Jahr 2015 noch 3,4 Mio. Euro. Durchschnittlich waren 300 Leistungsberechtigte im Sozialhilfebezug.

 

Im Jahr 2021 lagen die Ausgaben bei 6,5 Mio. Euro. Durchschnittlich haben jeweils 372 Heimbewohner Leistungen zum Stichtag bezogen (Stichtag jeweils letzter Tag im Monat). Die Anzahl der Leistungsberechtigten am Stichtag gibt allerdings nur ein unvollständiges Bild der Anspruchsberechtigten wieder. Die Leistungsberechtigten, die im Laufe des Monats aus dem Hilfebezug ausscheiden, sind hier nicht berücksichtigt. So haben im Jahr 2021 insgesamt 511 Leistungsberechtigte Sozialhilfeleistungen in Einrichtungen bezogen.

 

Der Leistungszuschlag ab 01.01.2022 verringert voraussichtlich, allerdings begrenzt nur für 2022, den von den Heimbewohnern aufzubringenden Betrag und damit auch den Sozialhilfeaufwand.

 

Die zeitliche Staffelung des Zuschlages macht es sehr schwer, eine Prognose über die begrenzt möglichen „Einsparungen“ für das Jahr 2022 zu treffen. Zum einen ist nicht bekannt, wie lange ein Heimbewohner bereits im Pflegeheim lebt, wenn der Antrag auf Hilfe zur Pflege in Einrichtungen gestellt wird bzw. wurde. Zum anderen ist die Verweildauer in den Einrichtungen und auch die Dauer des Sozialhilfebezugs sehr unterschiedlich. In Hinblick auf die für 2022 zu erwartende Entlastung wurde bei der Haushaltsplanung lediglich eine geringfügige Erhöhung des Planansatzes auf 6,6 Mio. Euro vorgenommen (+100.000 Euro zum Rechnungsergebnis 2021). Ohne Berücksichtigung der Leistungszuschläge auf der Grundlage des Gesundheitsweiterentwicklungsgesetzes zum Januar 2022 hätte der Planansatz weit höher ausfallen müssen.

 

Nach dem (Stagnations-) Jahr 2022 ist dann erneut mit einem weiteren und starken Anstieg des Sozialhilfeaufwandes ab 2023 zu rechnen, weil neben den jährlichen Kostensteigerungen durch Personal- und Sachkostensteigerungen zwei neue gesetzliche Regelungen zu steigenden Heimkosten führen werden:

 

-        Durch die Umsetzung der Tariftreueregelung sind nicht tarifgebundene Pflegeheime ab September 2022 verpflichtet, Tariflöhne zu zahlen. Erfahrungen aus bereits erfolgten Verhandlungen, in denen die Vergütungen von nicht tarifgebundenen Einrichtungen auf ein Tarifniveau angehoben wurde, zeigen, dass mit Budgetsteigerungen von 15 – 30 % zu rechnen ist, der Eigenanteil der Bewohner steigt hierdurch noch deutlich stärker.

-        Die Einführung des neuen Personalbemessungsverfahrens, wird - so die Prognose des KVJS - mit einer deutlichen Personalmehrung und damit ebenso mit deutlich steigenden Preisen voraussichtlich ab dem Jahr 2023 einhergehen.

 

Hinzu kommt die aktuelle Entwicklung mit stark steigenden Energie- und Sachkosten.

 

Die Entwicklung der Ausgaben im Bereich Hilfe zur Pflege ist deshalb zwar mit vielen Unbekannten belegt; es ist zusammenfassend erneut mit stark steigenden Aufwendungen ab 2023 zu rechnen.

 

3. Finanzielle Auswirkungen

Die Pflege in einem Pflegeheim wurde in den vergangenen Jahren immer teurer und kann kaum mehr mittel- oder langfristig aus eigenem Einkommen und Vermögen sowie den Leistungen der Pflegeversicherung geschultert werden. Die Betroffenen sind dann auf die Sozialhilfe in Form der Hilfe zur Pflege angewiesen.  Bei der Hilfe zur Pflege in Einrichtungen handelt es sich um eine Pflichtaufgabe der Stadt- und Landkreise in deren Finanzverantwortung. Es sind also ausschließlich Kreismittel für diese gesellschaftlich höchst relevante Aufgabe aufzuwenden. Mittlerweile stellt die Hilfe zur Pflege nach der Eingliederungshilfe und der Jugendhilfe der Sozialleistungsbereich mit dem dritthöchsten Ausgabevolumen im Sozialhaushalt des Landkreises dar.

 

Zur nachhaltigen Entlastung der Betroffenen sowie der Sozialhilfeträger braucht es deshalb dringend eine gesetzliche Reform der Pflegeversicherung mit dauerhaft niedrigen und bezahlbaren Eigenanteilen in der stationären Pflege.

 

Ansonsten kann unter den bestehenden gesetzlichen Rahmenbedingungen lediglich bei den Pflegesatzverhandlungen - und das sehr begrenzt - Einfluss auf die Höhe der Pflegesätze genommen werden. Selbstverständlich wird weiterhin auch durch eine konsequente Verfolgung des Nachranggrundsatzes bspw. durch Rückforderung von Schenkungen, Verfolgung von Ansprüchen aus Erbe und aus Verträgen etc. versucht, den Kostenanstieg zu begrenzen.

 

 

4. Klimarelevanz

Einschätzung der Klimarelevanz:

Auswirkungen auf den Klimaschutz

positiv

keine

negativ

 

 

Verfasser/-in: Nicole Schwarz

Bereich/Amt: Amt für Pflege und Versorgung / Dezernat für Jugend, Soziales und Gesundheit 

Dezernatsleitung:  Elisabeth Krug