Beschlussantrag:
Die
Entwicklungen in der stationären Pflege und ihre Auswirkungen auf die Hilfe zur
Pflege in Einrichtungen nach dem SGB XII werden zur Kenntnis genommen.
1. Sachverhalt
a.
Demografische
Entwicklung
Die
Menschen sind heute einerseits länger gesund und mobil. Andererseits nimmt das
Risiko, pflegebedürftig zu werden, mit zunehmendem Alter, insbesondere ab 75
Jahren zunächst langsam, dann deutlich zu.
Nach der
Bevölkerungsvorausrechnung des Statistischen Landesamtes sinkt die Zahl der
unter 65-Jährigen im Main-Tauber-Kreis, die Anzahl der über 65-Jährigen wird
dagegen steigen. Besonders gravierend ist hier der Anstieg der Zahl der
Hochbetagten, das sind die 85-Jährigen und älter, also der Bevölkerungsgruppe
mit einem deutlich erhöhten Pflegerisiko. Hier ist mit einem Anstieg von nahezu
40 % gegenüber dem Jahr 2017 zu rechnen.
Entsprechend
ist der Main-Tauber-Kreis bereits heute einer der Landkreise mit dem höchsten
Anteil Hochaltriger. Diese Entwicklung wird sich weiter fortsetzen. Diese
demografische Entwicklung wirkt sich deutlich auf die Hilfe zur Pflege in
Einrichtungen aus.
b.
Auswirkungen
auf die Pflege
Die Zahl
der Pflegebedürftigen im Main-Tauber-Kreis steigt. Noch immer wird die Mehrheit
der Pflegebedürftigen, d.h. ca. 80%, ambulant – oft von Angehörigen allein oder
mit professioneller Unterstützung durch ambulante Dienste sowie Einrichtungen
der Tages- und Kurzzeitpflege – versorgt. Allerdings nimmt das private
Pflegepotenzial ab, da immer mehr Kinder nicht in der Nähe der Eltern leben
und/oder nicht in der Lage oder bereit sind, die Eltern zu pflegen. Der Bedarf
an professioneller Hilfe steigt – zunächst im ambulanten Bereich, bei
zunehmender Pflegebedürftigkeit ist oft ein Pflegeheimaufenthalt kaum
vermeidbar.
c.
Kosten
der stationären Pflege
Die Kosten
eine Pflegeheimaufenthaltes setzen sich aus den Kosten für Unterkunft und
Verpflegung, den Pflegekosten in Abhängigkeit vom Pflegegrad, den Investitionskosten
sowie den Ausbildungspauschalen zur Finanzierung der Auszubildenden zusammen.
Monatlich können so - je nach Pflegeheim - Kosten von über 5.400 Euro
entstehen.
d.
Leistungen
der Pflegeversicherung
An den
Kosten einer stationären Pflege im Pflegeheim beteiligen sich die Pflegekassen
aktuell mit
-
770 Euro für Pflegebedürftige mit Pflegegrad
2,
-
1.262
Euro für Pflegebedürftige mit Pflegegrad 3,
-
1.775
Euro für Pflegebedürftige mit Pflegegrad 4,
-
2.005
Euro für Pflegebedürftige mit Pflegegrad 5.
Pflegebedürftige
mit Pflegegrad 1 haben nur Anspruch auf sog. Entlastungsleistungen von 125 Euro
monatlich; Kosten eines Pflegeheimes werden für sie nicht übernommen.
Zusätzlich
beteiligen sich die Pflegekassen seit 01.01.2022 mit einem „Leistungszuschlag“
an den Kosten des Pflegeheimaufenthaltes. Der Leistungszuschlag ist gestaffelt
und beträgt:
-
5 % des Eigenanteils an den Pflegekosten incl.
Ausbildungspauschalen, wenn der Leistungsberechtigte bis zu 12 Monate,
-
25 % des Eigenanteils an den Pflegekosten incl.
Ausbildungspauschalen, wenn der Leistungsberechtigte mehr als 12 Monate,
-
45 % des Eigenanteils an den Pflegekosten incl.
Ausbildungspauschalen, wenn der Leistungsberechtigte mehr als 24 Monate und
-
70 % des Eigenanteils an den Pflegekosten incl. Ausbildungspauschalen,
wenn der Leistungsberechtigte mehr als 36 Monate
in einem Pflegeheim lebt.
Unberücksichtigt
bleiben hier die Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie die
Investitionskosten. Diese Kosten hat der Heimbewohner weiter vollständig selbst
zu tragen.
e.
Hilfe
zur Pflege (Sozialhilfe)
Anspruch
auf Hilfe zur Pflege hat, wer heimbetreuungsbedürftig ist, und dessen Einkommen
und nicht geschütztes Vermögen nicht ausreicht, um die Heimkosten zu decken.
Bereits
seit 2010 steigen die Ausgaben für die Hilfe zur Pflege in Einrichtungen an.
Während in den ersten Jahren Preissteigerungen der Pflegeheime auf Personal-
und Sachkostensteigerungen basierten, kommt seit 2018 zusätzlich eine steigende
Anzahl von Leistungsberechtigten hinzu.
Weitere
Gründe für den steigenden Sozialhilfeaufwand in diesem Bereich sind:
-
die
Erhöhung des Vermögensschonbetrages zum 01.04.2017 auf 5.000 Euro pro Person
(also 10.000 Euro für Ehepaare), d.h. Vermögen, das der Leistungsberechtigte
nicht für die Heimkosten einsetzen muss sowie
-
das
Angehörigenentlastungsgesetz, das zum 01.01.2020 in Kraft trat und zur Folge
hat, dass Kinder nur noch dann zum Unterhalt für ihre sozialhilfebedürftigen
Eltern herangezogen werden können, wenn sie über ein Bruttoeinkommen von mehr
als 100.000 Euro verfügen.
Die
Auswirkungen dieser Entwicklungen zeigen sich deutlich in den
Sozialhilfeausgaben: So betrugen die Ausgaben in der Hilfe zur Pflege in
Einrichtungen für das Jahr 2015 noch 3,4 Mio. Euro. Durchschnittlich waren 300
Leistungsberechtigte im Sozialhilfebezug.
Im Jahr
2021 lagen die Ausgaben bei 6,5 Mio. Euro. Durchschnittlich haben jeweils 372
Heimbewohner Leistungen zum Stichtag bezogen (Stichtag jeweils letzter Tag im
Monat). Die Anzahl der Leistungsberechtigten am Stichtag gibt allerdings nur
ein unvollständiges Bild der Anspruchsberechtigten wieder. Die
Leistungsberechtigten, die im Laufe des Monats aus dem Hilfebezug ausscheiden,
sind hier nicht berücksichtigt. So haben im Jahr 2021 insgesamt 511
Leistungsberechtigte Sozialhilfeleistungen in Einrichtungen bezogen.
Der
Leistungszuschlag ab 01.01.2022 verringert voraussichtlich, allerdings
begrenzt nur für 2022, den von den Heimbewohnern aufzubringenden Betrag und
damit auch den Sozialhilfeaufwand.
Die
zeitliche Staffelung des Zuschlages macht es sehr schwer, eine Prognose über
die begrenzt möglichen „Einsparungen“ für das Jahr 2022 zu treffen. Zum einen
ist nicht bekannt, wie lange ein Heimbewohner bereits im Pflegeheim lebt, wenn
der Antrag auf Hilfe zur Pflege in Einrichtungen gestellt wird bzw. wurde. Zum
anderen ist die Verweildauer in den Einrichtungen und auch die Dauer des
Sozialhilfebezugs sehr unterschiedlich. In Hinblick auf die für 2022 zu
erwartende Entlastung wurde bei der Haushaltsplanung lediglich eine
geringfügige Erhöhung des Planansatzes auf 6,6 Mio. Euro vorgenommen (+100.000 Euro
zum Rechnungsergebnis 2021). Ohne Berücksichtigung der Leistungszuschläge auf
der Grundlage des Gesundheitsweiterentwicklungsgesetzes zum Januar 2022 hätte
der Planansatz weit höher ausfallen müssen.
Nach dem
(Stagnations-) Jahr 2022 ist dann erneut mit einem weiteren und starken Anstieg
des Sozialhilfeaufwandes ab 2023 zu rechnen, weil neben den jährlichen
Kostensteigerungen durch Personal- und Sachkostensteigerungen zwei neue
gesetzliche Regelungen zu steigenden Heimkosten führen werden:
-
Durch
die Umsetzung der Tariftreueregelung sind nicht tarifgebundene Pflegeheime ab
September 2022 verpflichtet, Tariflöhne zu zahlen. Erfahrungen aus bereits
erfolgten Verhandlungen, in denen die Vergütungen von nicht tarifgebundenen
Einrichtungen auf ein Tarifniveau angehoben wurde, zeigen, dass mit
Budgetsteigerungen von 15 – 30 % zu rechnen ist, der Eigenanteil der Bewohner
steigt hierdurch noch deutlich stärker.
-
Die
Einführung des neuen Personalbemessungsverfahrens, wird - so die Prognose des
KVJS - mit einer deutlichen Personalmehrung und damit ebenso mit deutlich
steigenden Preisen voraussichtlich ab dem Jahr 2023 einhergehen.
Hinzu kommt
die aktuelle Entwicklung mit stark steigenden Energie- und Sachkosten.
Die
Entwicklung der Ausgaben im Bereich Hilfe zur Pflege ist deshalb zwar mit
vielen Unbekannten belegt; es ist zusammenfassend erneut mit stark steigenden
Aufwendungen ab 2023 zu rechnen.
3.
Finanzielle Auswirkungen
Die Pflege
in einem Pflegeheim wurde in den vergangenen Jahren immer teurer und kann kaum
mehr mittel- oder langfristig aus eigenem Einkommen und Vermögen sowie den
Leistungen der Pflegeversicherung geschultert werden. Die Betroffenen sind dann
auf die Sozialhilfe in Form der Hilfe zur Pflege angewiesen. Bei der Hilfe zur Pflege in Einrichtungen
handelt es sich um eine Pflichtaufgabe der Stadt- und Landkreise in deren
Finanzverantwortung. Es sind also ausschließlich Kreismittel für diese
gesellschaftlich höchst relevante Aufgabe aufzuwenden. Mittlerweile stellt die
Hilfe zur Pflege nach der Eingliederungshilfe und der Jugendhilfe der
Sozialleistungsbereich mit dem dritthöchsten Ausgabevolumen im Sozialhaushalt
des Landkreises dar.
Zur
nachhaltigen Entlastung der Betroffenen sowie der Sozialhilfeträger braucht es
deshalb dringend eine gesetzliche Reform der Pflegeversicherung mit dauerhaft
niedrigen und bezahlbaren Eigenanteilen in der stationären Pflege.
Ansonsten
kann unter den bestehenden gesetzlichen Rahmenbedingungen lediglich bei den
Pflegesatzverhandlungen - und das sehr begrenzt - Einfluss auf die Höhe der
Pflegesätze genommen werden. Selbstverständlich wird weiterhin auch durch eine
konsequente Verfolgung des Nachranggrundsatzes bspw. durch Rückforderung von
Schenkungen, Verfolgung von Ansprüchen aus Erbe und aus Verträgen etc.
versucht, den Kostenanstieg zu begrenzen.
4. Klimarelevanz
Einschätzung
der Klimarelevanz:
Auswirkungen auf den Klimaschutz |
positiv |
negativ |
Verfasser/-in: Nicole Schwarz
Bereich/Amt: Amt für Pflege und Versorgung / Dezernat für Jugend, Soziales und Gesundheit
Dezernatsleitung: Elisabeth Krug